Mittwoch, Juni 27, 2007

Lesen! Einmal schlecht und einmal gut

Dass in Deutschland (und vielleicht auch anderswo) zu wenig gelesen wird, darüber scheint man sich hierzulande ja einig. Darüber, was man dagegen tun könnte, allerdings nicht. Ein wunderbarer Fehlschlag in Sachen Lese-Animierung ist die jüngste Aktion „Schock´ deine Eltern, lies ein Buch!“, die die Mayersche Buchhandlung, der Buch Verlag Kempen und das Verlagshaus Patmos nun in ganz Nordrhein-Westfalen gestartet haben. Ein Fehlschlag nicht nur, weil sie allen Teilnehmern zu diesem Zweck ein Bilderbuch (sic!) zur Verfügung stellen, sondern vor allem, weil sich die Aktion an Erst- und Zweitklässler richtet. Die man auf jeden Fall für ziemlich dämliche Möchtegern-Provokanten halten muss, wenn man sich so einen Slogan ausdenkt. Wenn man sich da mal nicht im Ton vergriffen hat.
Ganz anders und richtig schön ist der Imperativ „Poesie in die Stadt!“: Eine Aktion der deutschen Literaturhäuser, die – im Gegensatz zu Obigen – ihre aktuellen wie zukünftigen Kunden ernst nimmt. „Poesie in die Stadt!“ gab es erstmals im Jahr 2003, da luden sieben deutschsprachige Dichter je einen fremdsprachigen ein und stellten sie uns vor. In diesem Jahr kommt nun die Jugend zu Wort, in allen teilnehmenden Städten werden Gedichte von 11- 19-Jährigen – teils Wettbewerbsbeiträge, teils in Werkstätten entstanden – großformatig plakatiert, und ein Begleitprogramm gibt´s natürlich auch dazu. Und das klingt wirklich gut: „gestern hatte mich/die welt kurz verschluckt/und als das Gras wieder/auf meinen Füßen/wuchs/war klar/wer wie mit wem/und dass///die Sonne/bis in den Abend.“ Andreas Klemm ist der Autor, und das ist nur einer von mehreren, dessen Werke nicht nur in die Stadt getragen werden, sondern auch durchs Netz reisen sollen: Auf arte.tv kann man die Gedichte der Nachwuchsdichter als E-Cards verschicken. Ich mache das zwar nie. Aber schön und erwähnenswert finde ich´s trotzdem.

Sonntag, Juni 24, 2007

jonathan lethem: the promiscuous materials

in seinem jüngsten roman "du liebst mich, du liebst mich nicht" (tropen verlag) erzählt der autor jonatham lethem wie immer eine irrwitzige geschichte (diesmal mit einer nörgel-hotline und einem depressiven känguruh), im zentrum der geschichte steht jedoch die tatsächlich ja recht brisante frage ums urheberrecht in digitalen zeiten. und lethem meint die sache ziemlich ernst, er nennt das "the promiscuous materials project": auf seiner website findet sich eine auswahl seiner geschichten und songtexte, mit dem hinweis "Feel free to adapt or revise them in any way, in full or in part." (und auch schön: unter den faqs findet man die faq "Did anyone really ask these 'frequently asked questions', or did you just make them up yourself?")
doch worauf ich eigentlich hinauswollte: in der zeitschrift literaturen und frei online gibt es lethems text "autoren aller länder, plagiiert euch!" zu lesen. und auf youtube ein gespräch darüber zu sehen und zu hören.

noch mehr literatur im netz

andreas heidtmann vom poetenladen (der hier sträflicherweise noch nicht in der blogroll ist!) macht sich in seinem text "lesung vor keinem publikum" gedanken über literatur-websites, genauer gesagt: darüber, dass die instituionellen (literaturport, literaturportal) so wenig zulauf haben und die privaten so viel. ich finde seine schlussfolgerungen nicht ganz richtig bzw. etwas schnellschussig, aber der gedanke ist es doch wert, erwähnt zu werden. außerdem hat er mich auf das magazin lauter niemand aufmerksam gemacht, dass ich auch schnellstens in meine empfehlungen aufnehmen muss, weil´s sehr gefällt: entgegen dem namen findet man dort die werke von doch eingermaßen bekannten autoren - aber eben auch unbekannte. leider kann man nur in den alten ausgaben stöbern, da die werke der aktuellen nummer 7 (noch?) nicht frei online sind.

Donnerstag, Juni 21, 2007

vorschau herbst 2007

im aktuellen börsenblatt gibt der literaturkritiker jörg magenau einen überblick über die neuerscheinungen im herbst (pdf). das ist zwar auf den ersten blick ganz schön, auf den zweiten ist jedoch nicht zu übersehen, dass magenau sich für diesen seinen artikel desöfteren der pressetexte der verlage bedient hat. und das ist dann wieder nicht so schön. klar: magenau kann die bücher, die er hier vorstellt, natürlich nicht alle gelesen haben. aber vielleicht sollte man dann auch nicht drüber reden?

Dienstag, Juni 19, 2007

die zeit interviewt walser & grass

man hätte es wissen müssen: was die faz dem zeit-interview mit martin walser und günter grass vorab entnommen hatte (s.u.), diente nur dem basteln einer hübschen headline und ist ansonsten eher nebensächlich (da hoffte man wohl wieder einmal auf einen "journalistischen erstschlag"). tatsächlich nämlich ist das ganz und gar kein reißerisches, sondern eben ein ehrliches und so schönes wie interessantes wie unterhaltsames gespräch zweier alt-autoren und zweier literaturkritiker.

besser spät als gar nie

bereits im frühjahr ist die wunderbare anthologie “pop seit 1964“ bei kiwi erschienen, hat über 400 seiten, kostet dafür aber nur glatte 15 euro. „pop und literatur – wann immer die beiden aufeinander treffen, knallt es“, beginnt das vorwort der beiden herausgeber eckhard schumacher und kerstin gleba. der band versammelt (wie der titel bereits zart andeutet…) nicht nur die üblichen verdächtigen der neunziger jahre – stuckrad-barre, lottmann und so weiter – sondern vor allem in den frühen jahren so diverse gestalten wie handke, jelinek und fauser, aber natürlich auch fichte, artmann, glaser, dath & meinecke. ein wirklich gute und beeindruckende tat von gleba und schumacher - weil eben nicht nur die einzelnen autoren zur sprache kommen, sondern zudem die hin-und-hers zwischen ihnen lesbar werden. hier geht´s zu einer kritik der taz, hier zu einem podcast der deutschen welle über das buch. wer dann noch nicht genug hat, möge sich den anlässlich des buches enstandenen blogger-sind-auch-popper-text der netzeitung zu gemüte führen.
und wer´s noch rechtzeitig liest: heute abend um acht unterhält sich schumacher im münchner literaturhaus mit moritz von uslar und thomas meinecke über pop, und die kammerspiele- und „shoppen“-schauspielerin anna böger liest zwischendrin auszüge aus „pop seit 1964“.

Donnerstag, Juni 14, 2007

reza & sarkozy

yasmina reza schreibt ein buch über nicolas sarkozy, berichtet heute die neue zürcher zeitung. ich halte reza ja eher für die französische antwort auf jon fosse: viele worte um kein thema... für sarkozy also vielleicht ganz passend?
wer mehr über reza erfahren will, kann sich hier (wiki) und hier (bio & kritiken, englisch & französisch) informieren.

nachtrag um elf abends: der stern hat - wie es sich für den stern gehört - ein enthüllendes bild und eine ebensolche bildunterschrift dazu.

Mittwoch, Juni 13, 2007

dumm & unverschämt versus alt & eklig

ich wusste gar nicht, dass die beiden eine freundschaft verbindet - aber ohnehin tut das nichts zur sache. immerhin ließen sich der günter grass und der martin walser nun gemeinsam von der zeit interviewen (wie die faz berichtet) und nahmen dabei - in sachen elke heidenreich - kein blatt vor den mund. grass spricht von "dummheit und unverschämtheit", walser geriert sich nicht minder getroffen. erzürnt scheinen die beiden wegen heidenreichs ausspruch, die arbeiten der beiden seien "ekelhafte altmännerliteratur". ich mag die heidenreich und ihr "lesen!" ebenfalls nicht, weil der titel schlichtweg eine lüge ist, ihre sendung richtet sich tatsächlich vor allem an nicht-literarisch-interessierte, sondern herzschmerz-buchstaben-konsumenten, i.e. eric-emmanuel-schmitt- und paul-coelho-fans. mit "altmännerliteratur" trifft sie die sache allerdings durchaus auf den punkt (ist ja per se auch nix schlechtes bei). und ja: manchmal kann man das schon ein bisschen eklig finden. "tod eines kritikers" z.b. - brrr...

Montag, Juni 11, 2007

nichts als die wahrheit...

... entlockt der moderator jakob schiefer seinen gesprächspartnern in der zehnminütigen radio-talk-show "buch heute". zum beispiel: dass man, um hörspielsprecher zu werden, erst einmal auf partys, in soaps und neben wichtigen leuten zu erscheinen hat. oder: dass im kommenden jahr nur ein einziges buch in deutschland erscheinen wird. ein witz? ja, aber ein wunderbarer! wer´s nicht glauben will, soll hören: das gespräch mit der "hörbuch-päpstin anna-maria sterkowski-bahlsen" gibt´s hier, den durchschnittsroman erläutert dr. menzel, seines zeichens vorsitzender der "börsengemenschaft literatur ag", hier. und da die projekt-übersicht plus vorschau auf die kommenden großen taten & themen.

franziska gerstenberg: solche geschenke

nicht mein buch. ganz und gar nicht. deswegen liegt es seit viel zu vielen wochen schon vorwurfsvoll auf dem schreibtisch: die liebe sabine vogel von der berliner zeitung wartet auf eine besprechung davon. und mir graut´s. weil die gerstenberg zwar gar nicht schlecht schreiben kann, aber wie fast alle ihre leipziger kommilitonen schwer an diesem pathos trägt, das aus nichts anderem als heißer luft besteht. diese sie-sah-sie-dachte-sie-tat-literatur geht mir langsam wirklich auf die nerven, was denken die sich eigentlich dabei? denken die sich überhaupt etwas dabei? was wollen die erzählen? ich kapier´s nicht. zudem erinnert mich das andauernd an nenas hübsch naives "hast du etwas zeit für mich, dann singe ich ein lied für dich", aber das waren eben die 80er, da war das noch ok! gerstenberg jedenfalls hat - "solche geschenke" besteht aus 14 luftballons - nicht allzuviel zu erzählen, sondern faktiziert stattdessen bedeutungsschwanger durch die gegend. wohl in der hoffnung, dass sich die leser in dieser feier des ach-so-lakonischen (dies wort gehört ohnehin verboten) wiedererkennen, weil sie ebenfalls seit jahren in dem wissen leben, dass sie viel 'tiefer' sind und fühlen, als die welt es ihnen zugesteht und ihr umfeld es je ahnen würde. dass just das der größte beschiss seit der erfindung des subjekts ist, übersieht franziska gerstenberg völlig. deswegen gefällt mir das nicht. und deswegen stand drei wochen gar nix in dem gerstenberg.doc, seit zwei wochen steht da immerhin der erste absatz - den ich auch ganz gerne mag - doch nun sitze ich wieder dumm davor. to be continued ist wohl nur ein anderer begriff für den writers block.

schwere vorwürfe, schmutzige wäsche

in die "aufzeichnungen, die dem durcheinander in meinem kopf entsprechen" von franz schuh namens "schwere vorwürfe, schmutzige wäsche" kann man hier hineinhören - vom autor selbst gelesen natürlich.

Montag, Juni 04, 2007

empfehlung am rande

wer es irgendwie schafft, sollte sich am mittwoch, den 13.6., sigrid behrens anhören, wenn sie in der münchner seidlvilla aus ihrem buch "diskrete momente" liest. behrens porträtiert darin die bewohner eines mietshauses, indem sie sie anspricht, in ihre köpfe dringt, gleichsam zwiegespräche mit deren bewusstsein führt. zudem gehört sigrid behrens zu den autoren, die das lesen sehr eindrucksvoll beherrschen. und wer mir jetzt nicht glaubt: hanser hat sowohl eine leseprobe (pdf) als auch eine hörprobe (mp3) online gestellt. zwei kurze rezension des buches finden sich zudem hier (taz) und hier (nzz)

Samstag, Juni 02, 2007

bachmannpreis-wettbewerbs-kandidaten

etwas verspätet, aber offenbar doch noch nicht ganz durchgedrungen (oder interessiert das gar niemanden?): die 18 kandidaten für das 31. klagenfurter wettlesen stehen fest. sie heißen: jörg albrecht, martin becker, christian bernhardt, jan böttcher, andrea grill, björn kern, peterlicht, jagoda marinic, milena oda, kurt oesterle, ronald reng, silke scheuermann, fridolin schley, jochen schmidt, lutz seiler, thomas stangl, michael stavaric und dieter zwicky. ja, richtig gelesen: nur vier frauen sind diesmal dabei, eine tatsächlich mehr als miese quote (nicht einmal 25%!).
ein teil dieser autorInnen ist mir zugegebenermaßen überhaupt kein begriff, andere dagegen verehre ich sehr, dass ich gar nicht weiß, für wen ich da die daumen drücken soll. hilft ja ohnehin meist nix...
dennoch: meine persönlichen favoriten sind thomas stangl und michael stavaric, und die kann ich getrost so nebeneinander stellen, denn die machen tatsächlich völlig unterschiedliche sachen. die beiden wunderbaren stavaric-romane "stillborn" und "terminifera" habe ich für die berliner zeitung besprochen, hier "stillborn", hier "terminifera". meine kritik von stangls neuestem werk "ihre musik" hat die stuttgarter zeitung leider nicht auf ihrer seite - zum glück habe ich sie ja hier bereits gepostet. schwer beeindruckt hat mich auch stangls erstling "der einzige ort", der die reisen zweier entdecker des 19. jahrhunderts nach timbuktu ineinander schneidet (mit dem bewusstsein und seinen fehlenden rändern hat er´s ohnehin) - selten hält man so ein buch in händen, das man gar nicht langsam genug lesen kann.
von einigen der anderen autoren kann man auch ein wenig online lesen oder zumindest etwas mehr über sie erfahren, deswegen hier die entsprechenden links zu jörg albrechts schöner seite fotofixautomat, zu christian bernhardts seite, auf der man auch etwas anhören kann; dann zu peterlichts homepage und einem porträt von ihm bei laut.de; hier wiederum geht´s zu milena oda und hier zu kurt oesterle. dann kann man noch jochen schmidts wunderbares blog schmidt liest proust nachlesen (mittlerweile ist er damit fertig) oder seine seite bei der chaussee der enthusiasten besuchen, deren mitbegründer schmidt ist.
bestimmt findet sich auch zu den anderen autoren einiges im netz, das werde ich in den nächsten tagenoderwochen nachtragen, da dieser post nun ohnehin schon lang genug andauert. bis dahin, fürs erste und weitere sei die autorenliste auf der bachmannpreissite empfohlen.