Mittwoch, Juni 21, 2006

Michael Stavaric: stillborn

Der Monolog der Maklerin
Aus: Berliner Zeitung, 8.Juni 2006

Elisa fertigt gerne Listen an. „Manches kann man sich schon aussuchen: Radiosender, Kreuzungen, Fahrstreifen, Kaugummisorten, Brillen, Putzmittel, Pelzmäntel.“ Oder: „Was auch noch einfach ist: Wasser kochen, Kaffee, Tee, Auftauen, Einfrieren, Glühbirnen wechseln, Nägel feilen, sich etwas zwischen die Beine stecken, mit jemandem dran.“
Ganz richtig: Diese Frau mit Nachnamen Frankenstein ist herrlich irre. Und zum Glück äußerst redselig. Ohne Unterlass, durchsetzt von zahlreichen Kommata, protokolliert sie die Ereignisse um sich herum. Und dabei strömen die Gedanken nach hier und nach dort, mal reihen sie sich brav, mal wild; oft springen sie ein wenig durcheinander; erst über Satzzeichen hinweg, dann den Lauten hinterher – wie bei Brillenputzmittelpelzmantel.
Der Monolog der erfolgreichen Maklerin und selbst ernannten Totgeburt Elisa Frankenstein über sich, ihre Firma, ein paar Wohnungsbrände, ihr Pferd, den Kommissar, ihre Mutter und immer wieder sich trägt den Titel „stillborn“, kleingeschrieben, weil aus dem Englischen – was tatsächlich netter klingt als die deutsche Übersetzung „totgeboren“. Verfasst hat den bissigen Entfremdungs-Krimi der 1972 in Tschechien geborene, schon lange in Wien lebende Autor Michael Stavarič.
Stavarič ist ein intellektueller Tausendsassa. Er hat für die tschechische Botschaft und den internationalen P.E.N.-Präsidenten gearbeitet, einiges übersetzt, einiges herausgegeben und zudem einen Lehrauftrag am Sportinstitut der Uni Wien. Im vergangenen Jahr erschien „Europa. Eine Litanei“, bei Kookbooks, einem der jungen Verlage, die man gerade ganz genau im Auge hat. Und nun also „stillborn“ im Residenzverlag: eine schwarze Komödie über Brandstiftung und lang zurückliegende Mädchenmorde; eine böse Satire auf Sozio-Freaks und anders Gestörte; eine Horror-Picture-Show auf wienerisch. I´m just a sweet psychotic, trällert Elisa vermutlich heimlich. Das „Ich“ lässt sie deshalb so oft wie möglich weg oder ersetzt es durch Reihen wie „ich, du, sie“ oder „er, ich, wir, sie“.
Ab und an hat sie Visionen von einem ordentlichen Leben, mit Familie. „Wir essen gemeinsam, die Kinder sind artig, machen Hausaufgaben, kämmen die Katze, die ist echt lammfromm.“ Selbstredend hat sie einen „Herrn Doktor“, mit dem sie jedoch über anderes spricht, und der die grünen Pillen dann reduziert (die hat sie ohnehin nur ihm zuliebe genommen) und mehr von den blauen verschreibt. Elisa braucht die auch: „Das Haus grüßt freundlich, ich tue so, als hätte ich nichts gehört, nehme eine blaue Pille aus meiner Handtasche, die wird das richten.“
So schminkt und dopt sich Fräulein Frankenstein durchs Leben. An der sozialen Oberfläche stimmt alles, denn wie man – ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie – sich benimmt, weiß sie. Sie eilt zu Hilfe, wenn alte Damen schwer an ihren prallen Einkaufstüten tragen, kümmert sich um das Baby der Kollegin, besucht ihren Reitlehrer im Krankenhaus. Das Lächeln nie vergessen: wenn die „Schlampe“ vom Schreibtisch gegenüber etwas fragt, wenn eine „Pissnelke“ sie angrinst, wenn Kunden dumme Fragen stellen.
Doch diese Intimität des fiesen Zungenschlags ist trügerisch, weil auch der Leser längst nicht alles erfährt. Auch die Ironie von Elisas Litanei – „lebe, atme, lebe, atme“ – wird bald fraglich. Denn Michael Stavarič spielt nicht nur mit Floskeln und Erwartungen, sondern auch mit der gewählten Form, dem eigentlich arg in die Jahre gekommenen Bewusstseinsstrom. Stavarič verleiht ihm neuen Glanz: durch seinen trockenen Witz, seinen Sinn für Sein und Schein, seine nur scheinbar naive, tatsächlich wohl eher durchschnittlich verschrobene Protagonistin.
„Ich bin geneigt anzunehmen, dass mit dieser Welt etwas nicht stimmt, Sie doch auch?“ fragt sie einmal den Leser ganz direkt. Ja, Elisa Frankenstein, wir auch. Aber das geht schon in Ordnung. Denn nur weil da etwas nicht stimmt, konnte Michael Stavarič dieses wunderbare Buch darüber schreiben. Was nämlich auch noch toll ist: „stillborn“ lesen.

Michael Stavarič: stillborn. Residenz Verlag, Salzburg 2006. 172 Seiten, 15,90 Euro.

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