Mittwoch, Juni 21, 2006

Alois Hotschnigs "Die Kinder beruhigte das nicht"

Und so trennten sie sich
Aus: Stuttgarter Zeitung, 16.6.2006

Ein seltsamer Titel für ein Buch: „Die Kinder beruhigte das nicht“. Bei der Lektüre dieses Erzählungsbandes des österreichischen Autors Alois Hotschnig wird man erfahren, wie passgenau er gewählt ist. Denn den Leser beruhigen diese Geschichten ebenfalls nicht: ein Mensch, der sich in einer Gegenwart wiederfindet, die nicht die seine ist; ein Mann, der auf sich selbst in Puppenform trifft; ein Ehepaar, das täglich die Ankunft von Onkel Walter verspricht, dessen Existenz ganz und gar unsicher ist.
„Wenn ich das Haus verließ, lagen sie auf ihrem Steg, und wenn ich nach Stunden zurückkam, lagen sie immer noch dort“, beginnt die erste der neun Erzählungen. „Sie“ – das sind die Nachbarn drei Gärten weiter, deren entspannte Tatenlosigkeit und Ignoranz ihm gegenüber den Ich-Erzähler langsam aus der Fassung bringt. „Diese Ruhe löste eine Unruhe in mir aus, die zunahm und wuchs und sich zu einer Verstörung auswuchs, mit der ich nicht umgehen konnte.“ Deshalb beobachtet er sie, protokolliert er ihr Verhalten, fotografiert er sie. „So standen sie mir zur Verfügung, wann immer mir danach war.“ Der nächtliche Ausflug zu ihrem Steg scheitert fast in Schlamm und Morast und endet dann abrupt: Es „fehlte mir nun jede Lust, mich auf eine der Liegen zu legen, und so machte ich mich durch die Gärten davon.“
So ist diese Erzählung namens „Dieselbe Stille, dasselbe Geschrei“ der denkbar beste Auftakt für den schmalen, aber schwerwiegenden Band. Denn viel Hotschnig ist darin bereits enthalten. Die samtene Glasklarheit seiner Sprache etwa, die je genauer man hinhört desto befremdlicher klingt; sowie die Spannkraft zwischen Nähe und Ferne, die jede seiner Erzählungen antreibt. Es kann kein Zufall sein, dass einer seiner Protagonisten in einem ihm unbekannten Körper erwacht, Hotschnig ein andermal das Sterben eines Insekts als Tragödie der Kreatur erzählt – der Kafka-Nachdenker ist schon vorher nicht zu überlesen.
Das interessiert Alois Hotschnig: wenn das Normale gruselig-absurd wird, das Unheimliche dagegen zur Normalität mutiert, wenn Objekte die Macht über den Beobachter erlangen und das Wörtchen „Ich“ ganz anderes bedeutet. Nur in der Sprache ist solch eine Widersprüchlichkeit zu fassen: „Neben dem Bett lag ein Laken, das zog ich jetzt ... in einer Bewegung, die nicht die meine war.“ In „Du kennst sie nicht, es sind Fremde“ wechselt einer täglich seine Identität, doch jeweils wird er als Freund willkommen geheißen. „Die Frau kannte er nicht, doch sie sprachen sich aus, und als er glaubte, sie hätte sich beruhigt und sie wären sich einig geworden, meinte sie, dass es an der Zeit wäre, auseinander zu gehen. Das dachte auch er, und so trennten sie sich“.
Irgendetwas ist aus den Fugen geraten, nur was, das kann nicht mehr gesagt werden – weil es immer schon vorbei ist, einfach unmerklich passierte oder aus anderen Gründen schlicht der Wahrnehmung entging. Diesem Etwas schreibt Hotschnig hinterher, jede Erzählung ein neuer, aufregender Versuch der Annäherung. Das unterscheidet den Autor womöglich wenig von anderen Schriftstellern. Allein: Alois Hotschnig ist beunruhigend gut darin.

Alois Hotschnig: Die Kinder beruhigte das nicht. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 128 Seiten, 14,90 Euro.

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