Dienstag, November 06, 2007

zweitens-literatur am dienstag

die interessanten artikel
1. Die FAZ übersetzt und druckt ein Gespräch mit dem Autor Jonathan Littell, der in Frankreich für Furore sorgte nicht nur wegen seines Buches "Les Bienveillantes", sondern auch, weil er den ihm dafür zugesprochenen Prix Goncourt nicht annahm: "Ich glaube nicht, dass Preise etwas mit Literatur zu tun haben. Sie haben mit Marketing zu tun, nicht mit Literatur. Mir gefällt das nicht." sagt er, das Interview ist schön FAZ-gemäß mit "Die Nazis hatten Kultur" überschrieben.
2. Sieglinde Geisel wandert für die NZZ mit dem "Vrenelis Gärten"-Autor Tim Krohn in den Glarner Alpen herum: "Bei den Seelenen".
3. Wieland Freund hat für die Welt die "Vom Winde verweht"-Fortsetzung "Rhett" gelesen: "Rhett Butler rettet den Süden".

der schöne text
sind heute mehrere, und ob sie schön & gut sind, möge jeder bitte selbst entscheiden: Die Gewinner des 15. Berliner Open-Mike-Wettbewerbs sind also Johann Trupp mit seinem Text "Parallelgestalten" (pdf), Tina Ilse Gintrowski mit ihrem Text "Planet Pony" (pdf) und Judith Zander (Gedichte, pdf).

der erste satz
Die Nacht des zwölften zum dreizehnten Oktober schwieg in den deutschen Wäldern; ein müder Wind schlich über die Äcker, schlurfte durch die finsteren Städte des Jahres vier nach Hitler, kroch im Morgengrauen ostwärts über die Elbe, stieg über die Erzgebirgskämme, zupfte an den Transparenten, die schlaff in den Ruinen Magdeburgs hingen, ging behutsam durch die Buchenwälder des Ettersberges hinab zum Standbild der beiden großen Denker und den Häusern der noch größeren Vergesser, kräuselte den Staub der Braunkohlegruben, legte sich einen Augenblick in das riesige Fahnentuch vor der Berliner Universität Unter den Linden, rieselte über die märkischen Sandebenen und verlor sich schließlich in den Niederungen östlich der Oder.
Aus Werner Bräunig: "Rummelplatz". In der DDR war dieser Roman von einer Publikation ausgeschlossen, nachdem Werner Bräunig 1956 aus dem ersten Kapitel gelesen hatte. Was den Autor derart traf, dass "Rummelplatz" nie fertig wurde (die vorhandenen 620 Seiten sind nur der erste Band) und Bräunig sich mehr oder weniger zu Tode soff. Zum Glück hat der Aufbauverlag dieses ganz außergewöhnliche Ding nun wieder aus der Versenkung geholt: "Rummeplatz" ist ein Nachkriegs-Panorama, ein tatsächlich recht ungeschminktes Bild der Trümmer- und Aufbaujahre sowie des sozialen Klimas in Ost und West; und auch sprachlich ist es etwas ganz Besonderes: noch am Expressionismus der Vorkriegsjahre hängend, schraubt sich Bräunig gerne in die Köpfe seiner zahlreichen Protagonisten hinein - das sind Menschen, die man da zu lesen bekommt.
Hier wiki über Bräunig und über das Buch (mit Links zu Besprechungen), und hier Perlentauchers Rezensionszusammenfassungen von "Rummelplatz".

der hörtipp
Im Juli dieses Jahres starb der Schauspieler und Sprecher Claus Boysen (Boysens Website), aus diesem Anlass gibt es bei vorleser.net eine Auswahl seiner Lektüren zu hören, darunter ein paar Ringelnatz-Gedichte wie "Frühe Gedichte" und "Turngedichte", vor allem aber, wie Claus Boysen Rilke liest (Achtung: große ZIP-Datei, lohnt sich aber!).

Donnerstag, November 01, 2007

rilauntsch

Relaunch ist immer, wie ein halbwegs berühmter Zeitgenosse mal gesagt haben soll, deswegen habe ich - wem ist´s aufgefallen? - das Design mal wieder geändert. Ich bin eigentlich recht froh, denn so muss ich meinen Drang nach Veränderung nicht immer mittels Zimmerumräumen ausleben. Allerdings hat das meine Linkliste ziemlich ausgedünnt, und nach Kriterien ordnen kann ich sie jetzt offenbar auch nicht mehr - Blogger kennt nur die alphabetische oder gar keine Ordnung. Meinen Frust darüber habe ich sofort durch ein deppertes neues Feature am Seitenende ausgelebt: Zweitens Literatur - jetzt mit wöchentlicher Umfrage! Ganz toll...

zurück aus der sommerpause: mal wieder ein newsletter

Der Sommer war sehr lang - ich weiß... Weil eben gleich auf den Urlaub die Buchmessenvorbereitung folgte und ich mich in diesem Jahr ausgerechnet als Schwartenkönigin beweisen wollte: Habe also Michael Köhlmeiers "Abendland" besprochen (ein schönes Epos!) und Quim Monzos "100 Geschichten" (ebenfalls sehr empfehlenswert: Kurz- und Kürzestgeschichten, makaber bis zynisch, und darin auch die Weltliteratur nicht verschonend, siehe unten!).
Aber jetzt: der Newsletter:

die interessanten artikel
1. Schon etwas älter, aber unfreiwillig aktuell: Der Text des Juristen Christian Eichner und des Literaturwissenschaftlers York-Gothart Mix zur Kunstfreiheit in Deutschland: "Ein Fehlurteil als Maßstab?" (pdf)
2. Ebenfalls von literaturkritik.de, doch diesmal wenigstens aus der aktuellen Ausgabe: Ein Auszug aus Thomas Meineckes Magisterarbeit über Karl Philipp Moritz´ "Anton Reiser". Meinecke hat bei Suhrkamp ja ein neues Buch, das seine FSK-Songtexte versammelt, heißt "Lob der Kybernetik" und ich freue mich jetzt noch daran, dass ich dabei war, als er in der Frankfurter Freitagsküche daraus gesungen hat.
3. Angela Schader vergleicht in der NZZ die Nine-Eleven-Romane von Don DeLillo, Jay McInerney und Ken Kalfus: "Aus dieser Asche kann kein Phönix steigen".

der schöne text
stammt heute - aus Anlass seines 68. Geburtstages - von Aras Ören, es ist ein Ausschnitt aus dem Roman "Frau Rühles Schatulle" und nennt sich "Verlorene Dinge". (Aras Örens Website ist überhaupt sehr zu empfehlen!)

der erste satz
Als der Käfer eines Morgens aus der Puppe schlüpfte, fand er sich in einen fetten Jungen verwandelt.
Aus: Quim Monzo: 100 Geschichten. Dieser Band versammelt alle bislang veröffentlichten Prosastücke des Katalanen Quim Monzó. Natürlich war das eine Buchmessenveröffentlichung der Frankfurter Verlagsanstalt, doch ist Monzó beleibe kein Quoten-Katalane: Die Erzählungen sind wunderbare Grotesken unserer Welt, es geht ums Scheitern und um die Umwege, die die Wirklichkeit so zu nehmen beliebt. Auf der Verlagsseite gibt´s noch mehr Infos zum Buch und zum Autor

der hörtipp
nimmt heute ebenfalls einen Geburtstag zum Anlass, allerdings einen, der schon ein paar Monate zurückliegt, dafür jedoch ein runder war: Am 19. April dieses Jahres wäre der Südtiroler Dichter Norbert Conrad Kaser (wiki) 60 Jahre alt geworden. Auf der lyrikline kann man ihm beim Lesen seiner Gedichte lauschen, etwa "der kannibale" oder "[die kreisel in meinem schädel]" oder "lied der einfallslosigkeit". (Überblick)
Außerdem hat auch der Haymon-Verlag, der sich schon lange um Kaser bemüht, einen Band herausgegeben, für den Raoul Schrott Briefe, Prosa und Gedichte ausgewählt hat: "N. C. Kaser elementar" heißt er.