Aus: Stuttgarter Zeitung, No.92, 21.4.2006
Jede Geschichte kaum mehr als ein Hauch: Ralf Bönts Erzählungen streifen den Leser, bauschen sich vielleicht ein wenig auf dabei, ein kleiner Windstoß nur. Und schon sind sie wieder vorbei. „Berliner Stille“ heißt der Band, in dem Bönt jetzt neun seiner leichtfüßigen Anekdoten versammelt hat.
Nicht dass Bönt die so genannten großen Themen meiden würde – ganz im Gegenteil: Es geht immer wieder um Tod, Liebe, Gewissen und Fremdheit. Doch spricht Bönt davon wie nebenbei, eine Erwähnung am Rande, der Fluss der Sätze hebt alles in sich auf, ebnet die Gegensätze zwischen wichtig und unwichtig, zwischen Ereignis und dessen Folgen ein. Kleinigkeiten kommen zu ihrer großen Wirkung: Erst hat sie Angst vor dem Gewitter, dann scheitert sie mit ihrem Fahrrad an der Steigung, dann schweigt sie viel und vorwurfsvoll. „‚Was ist denn jetzt schon wieder?’ ‚Nichts’, sagte sie tonlos. Ruckend und jeweils mit einem Stöhnen wirft er dann die Kiesel einen nach dem anderen aufs Meer hinaus.“ Die Erzählung, die so endet, heißt „Steine“.
Solche offenen Pointen setzt Ralf Bönt häufig, solche dichten Sätze, die den Ton eines Auftakts oder einer Zusammenfassung anschlagen, tatsächlich aber mehr Bedeutung versprechen, als sie halten können – das ist vielleicht unvermeidbar, weil einsilbige Sätze am Schluss einer luftigen Geschichte immer schwerer wiegen. Und andererseits eben viel sagen können: Ein Vater hat seinen Sohn verloren, mit dem er früher immer vor dem Fernsehes saß, sobald Fußball lief. Die Geschichte ist ein Monolog des Vaters an sich selbst. Und endet: „Du siehst auf die Uhr, heute abend ist Europapokal, da hast du mal wieder Glück gehabt. Denn den Fußball, den liebst du. Für seine Sinnlosigkeit.“ Eine zynische Schizophrenie ist diese Rede über Glück und Sinnlosigkeit. „Essen“ heißt die Geschichte – weil der Erzähler ißt, während ihm die Erinnerungen kommen und er sich zwischendrin mit dem Dönerbudenbesitzer unterhält.
Ralf Bönt erzählt nie einfach nur Begebenheiten, sondern schweift immer wieder ab, vor allem zurück in die Vergangenheit. In die Gegenwart ragen unvermeidlich Erinnerungen aus alter Zeit hinein. In der titelgebenden Geschichte trifft der Ich-Erzähler auf der Straße einen Bekannten aus früheren Zeiten. „Ich ... nenne ihn nur einen Freund, weil wir damals denselben Schulweg hatten. Ich sollte ihn besser einen Schulkameraden nennen oder einfach einen Mitschüler.“
Während die beiden zusammen Kaffee trinken, gedenkt der Erzähler seiner Wehrdienstverweigerung, einer Bombendrohung in Haifa, seiner Ankunft in New York und später in Berlin, der eigentlichen Hauptstadt dieser Erzählung. Und da erklärt er schließlich, wie sehr das Schreiben und die Stadt zusammengehören: „Ich war nicht aus Gründen nach Berlin gegangen, sondern aus einem Gefühl.“
Das ist es nämlich, was diesen Erzählband – auch im negativen Sinne – auszeichnet: Ein Zuwenig an Reflektion, ein Zuviel an wabernden Assoziationen. Die Realität seiner Melancholie verpufft, verdampft, nein: verduftet deshalb zwischen bedeutungsschweren Belanglosigkeiten. Und ist bereits jetzt spurlos verweht.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen